Vielleicht wirkst du stark.
Zuverlässig. Belastbar. Immer den Überblick behaltend.
Alle wissen: Auf dich ist Verlass.
Doch was viele nicht sehen: Diese Stärke hat einen Preis.
Denn in dir gibt es auch einen anderen Teil –
einen Teil, der sich müde fühlt, überfordert, alleingelassen.
Ein Teil, der gelernt hat, schon früh Verantwortung zu übernehmen – und dabei sich selbst zu verlieren.
Wenn ein Kind zu früh Verantwortung übernehmen muss
Viele Frauen, die heute stark durchs Leben gehen, haben etwas gemeinsam: Sie haben früh gelernt, Verantwortung zu übernehmen.
Vielleicht warst du die Älteste. Vielleicht einfach die Vernünftige. Vielleicht war niemand da, der verlässlich war.
Und so hast du gespürt: Hier braucht es jemanden, der sich kümmert. Der alles zusammenhält. Der stark ist.
Und das warst du.
Nicht, weil du wolltest. Sondern, weil du musstest.
Was dabei innerlich passiert, ist mehr als nur Reife:
Dein kindliches Nervensystem sucht Sicherheit – und findet sie im Starksein.
Es entstehen Überzeugungen wie:
Ich darf keine Last sein
Ich darf keine Fehler machen
Wenn ich stark bin, bleibt alles zusammen
Ich bin verantwortlich für das, was passiert
Wenn ich loslasse, fällt alles auseinander
Diese inneren Sätze sind keine bewussten Gedanken.
Sie sind unbewusste Versprechen, die du dir selbst gegeben hast.
Verantwortung übernehmen – Wie sich alte Muster heute zeigen
Auch wenn du heute erwachsen bist, wirkt dieses alte Muster weiter.
Vielleicht erkennst du dich hier wieder:
Du übernimmst Verantwortung, auch wenn dich niemand darum bittet
Du kannst schlecht Nein sagen
Du spürst deine eigenen Grenzen erst, wenn es zu spät ist
Du bist chronisch erschöpft – aber erlaubst dir keine Pausen
Du kannst nur schwer Hilfe annehmen
Du denkst: Wenn ich nicht funktioniere, bricht alles zusammen.
Vielleicht zeigst du Stärke, wo du eigentlich Verbindung brauchst.
Vielleicht lachst du, wenn du weinen willst.
Vielleicht trägst du noch heute Verantwortung, obwohl du innerlich nach Entlastung rufst.
Psychologische Perspektive: Warum du so geworden bist
Aus psychologischer Sicht ist das, was wir heute „die Starke“ nennen, oft eine Form von Parentifizierung. Ein Kind wird zur innerlich mitverantwortlichen Instanz – in einem System, das eigentlich die Eltern tragen sollten.
Das kann bedeuten:
Verantwortung für Geschwister
Emotionale Unterstützung für die Eltern
Sich selbst regulieren müssen, obwohl man noch klein ist
Nicht „Kind sein“ dürfen
Diese Prägungen hinterlassen tiefe Spuren:
Ständige Selbstkontrolle
Ein Gefühl ständiger Verantwortlichkeit
Reflexhaftes Starksein – selbst wenn es nicht mehr nötig ist
Neurobiologische Perspektive: Daueranspannung als Schutz
Neurobiologisch bleibt dein Nervensystem in ständiger Alarmbereitschaft.
Die Amygdala, das Angstzentrum, scannt ununterbrochen die Umgebung.
Dein Sympathikus – zuständig für Aktivierung und Leistung – steht unter Strom.
Was fehlt, ist die Aktivierung des ventralen Vagusnervs – jenem Teil, der für Verbindung, Ruhe und Vertrauen zuständig ist.
Selbst in sicheren Situationen wirkt diese alte Wachsamkeit weiter.
Du bleibst im Tun-Modus. Weil du nie gelernt hast, wie es sich anfühlt, einfach nur zu sein.
Was dir helfen kann, Verantwortung abzugeben
Heilung beginnt nicht mit einem radikalen Kurswechsel.
Sondern mit kleinen Erlaubnissen:
Du darfst müde sein.
Du darfst Nein sagen.
Du darfst Verantwortung zurückgeben, die nicht (mehr) zu dir gehört.
In meiner Arbeit mit Frauen entstehen berührende Momente, wenn sie ihr inneres Kind zum ersten Mal nicht als „die Große“ sehen, sondern als das kleine Mädchen mit viel zu viel Verantwortung.
Und dann dürfen neue Sätze entstehen:
Du hast so viel getragen.
Du hast immer dein Bestes gegeben.
Du darfst dich heute anlehnen.
Impulse zur Selbstreflexion: Deine innere Erlaubnis
Was musste ich als Kind tragen, obwohl ich selbst noch Halt gebraucht hätte?
In welchen Momenten übernehme ich heute zu viel Verantwortung?
Welche Sätze aus meiner Kindheit wirken heute noch in mir?
Wem darf ich Verantwortung zurückgeben, die ich zu lange getragen habe?
Was hätte ich damals gebraucht – und was kann ich mir heute davon schenken?
Wenn du dich in diesem Muster wiedererkennst – stark sein, mitdenken, Verantwortung übernehmen – dann darfst du wissen:
Diese Stärke hat dich damals geschützt. Aber heute darfst du etwas Neues lernen:
Du darfst müde sein.
Du darfst Hilfe annehmen.
Du darfst dich fallen lassen – ohne Angst.
Erfahre mehr über meine Arbeit
Wenn du mehr darüber erfahren möchtest, wie ich Frauen begleite, sich selbst wieder in den Mittelpunkt ihres Lebens zu stellen, findest du hier mehr über mich und meine Arbeit.
Weitere Artikel dieser Reihe
👉 Die Funktionierende – Wenn du alles im Griff hast, aber innerlich nie zur Ruhe kommst
👉 Die Kümmerin – Wenn du das Gleichgewicht für alle hältst
👉 Die Unsichtbare – Wenn du dich ständig anpasst und trotzdem unsicher bleibst
👉 Die Suchende – Wenn du dich durchs Leben suchst und dich dabei selbst verlierst
Ich freue mich, dass du hier bist.
Ich freue mich, dass du mitliest.
Und vielleicht darf heute ein Teil in dir zum ersten Mal wirklich ausatmen.
Herzlichst,
deine Stefanie Trilling
Praxis für ganzheitliche Psychotherapie – Düsseldorf