Kennen Sie das Gefühl, dass das Leben irgendwie an Ihnen vorbeiläuft?
Dass Sie zwar funktionieren, arbeiten, reden, reagieren – aber innerlich gar nicht wirklich da sind? Sich innerlich leer fühlen, keine Freude empfinden und Momente die „eigentlich“ schön sind nicht genießen können?
Vielleicht fragen Sie sich:
Warum ist das so? Es ist doch „eigentlich“ alles gut in meinem Leben! Ich könnte doch zufrieden und glücklich sein.
Warum komme ich da nicht raus, obwohl ich mir so sehr wünsche, dass es anders wird?
Wenn Sie das kennen, möchte ich Ihnen heute einen Blick hinter die Kulissen schenken –
in das, was in Ihrem Gehirn passiert, und warum das viel mit Mitgefühl und nichts mit Schuld zu tun hat.
Unser Gehirn entsteht aus dem, was wir erleben
Schon früh im Leben beginnt unser Gehirn, sich zu formen – nicht im luftleeren Raum, sondern in Beziehung zu unserer Umwelt.
Je nachdem, was wir als Kinder erlebt haben, bilden sich bestimmte Netzwerke im Gehirn besonders stark aus – und andere bleiben eher ruhig.
Wenn wir zum Beispiel aufwachsen in einem Umfeld, das von Unsicherheit, Stress, emotionaler Kälte oder vielen kleinen Zurückweisungen geprägt ist, dann wird unser Gehirn lernen:
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Ich muss vorsichtig sein.
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Ich darf mich nicht zeigen.
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Ich darf nicht zu laut sein.
Und genau das hinterlässt Spuren.
Was bedeutet das im Gehirn?
In einem gesunden Gleichgewicht arbeiten im vorderen Bereich unseres Gehirns zwei Regionen miteinander:
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Der linke präfrontale Cortex: Hier entstehen positive Emotionen – Lebensfreude, Zuversicht, Zielorientierung.
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Der rechte präfrontale Cortex: Hier werden eher negative Emotionen verarbeitet – Angst, Rückzug, Vorsicht.
Bei vielen depressiven Menschen wurde über Jahre – manchmal seit der Kindheit – der rechte Bereich häufiger aktiviert:
Wenn die Umgebung unsicher war, wenn wir vermeiden mussten, Fehler zu machen, zu laut zu sein, zu traurig, zu bedürftig.
Das Gehirn „lernt“ dann, sich mehr auf das Negative zu konzentrieren, Gefahren zu wittern, Rückzug zu bevorzugen.
Gleichzeitig wird der Bereich für Freude, Offenheit und Neugier – also der linke Cortex – weniger „befeuert“.
Das ist nicht Ihre Schuld. Es ist eine Folge von Erfahrung.
Und über Jahre bilden sich daraus echte Unterschiede im Gehirn – messbar.
Die gute Nachricht? Was sich entwickeln konnte, kann sich auch wieder verändern.
Weitere Veränderungen im Gehirn bei Depression
1. Die Amygdala – unser innerer Alarm – steht ständig auf Rot
Bei Depressionen ist die Amygdala überaktiv.
Sie reagiert empfindlich auf alles, was gefährlich wirken könnte – selbst, wenn objektiv gar keine Gefahr da ist.
Die Folge: Dauerstress.
Und dieser Stress wirkt sich auf den ganzen Körper aus.
2. Der Körper schüttet dauerhaft Cortisol aus – das stresst das Gehirn
Durch die ständige Alarmbereitschaft wird Cortisol ausgeschüttet – das „Stresshormon“.
Wenn das dauerhaft geschieht, wird der Körper erschöpft.
Und das Gehirn verändert sich weiter.
3. Der Hippocampus – unser Zentrum für Erinnerung, Beziehung und Orientierung – schrumpft
Das viele Cortisol lässt den Hippocampus schrumpfen.
Er ist wichtig, um neue Dinge zu lernen, Emotionen einzuordnen und Beziehungen aufzubauen.
Wenn er sich zurückzieht, wird es schwerer, neue Wege zu finden – emotional und im Alltag.
4. Ein wichtiger Bereich für Handlung und Gefühlsverarbeitung ist kaum noch aktiv
Der sogenannte ACC – ein Bereich, der uns hilft, Probleme aktiv anzugehen, zu reagieren, unsere Gefühle zu spüren – ist bei vielen depressiven Menschen wie „abgeschaltet“.
Das erklärt, warum manche gar nicht mehr merken, dass sie sich in belastenden Situationen befinden – und warum Veränderung sich oft so schwer anfühlt.
Und jetzt? Warum das alles Hoffnung macht
Vielleicht klingt das zunächst erschreckend.
Aber bitte behalten Sie das Wichtigste im Kopf:
Ihr Gehirn ist nicht „kaputt“. Es ist geprägt. Und es ist formbar.
Das nennt man Neuroplastizität – die Fähigkeit des Gehirns, sich neu zu organisieren.
Und diese Fähigkeit bleibt ein Leben lang erhalten.
Das bedeutet:
Wenn unser Gehirn gelernt hat, sich mehr auf Gefahr und Rückzug zu konzentrieren, dann kann es auch wieder lernen, sich für Freude, Nähe und Handlung zu öffnen.
Wie das geht?
Indem wir andere Netzwerke wieder „wachküssen“
Jedes Mal, wenn Sie etwas tun, das Ihnen guttut – selbst wenn es nur ganz klein ist –, senden Sie einen Impuls an die linke Seite Ihres Gehirns.
Und mit jedem kleinen Impuls wächst dort wieder Leben.
Konkrete erste Schritte – ganz sanft, ganz machbar
1. Erinnern statt erfinden
Unser Gehirn kann leichter an bestehende Erinnerungen anknüpfen als neue Dinge aufnehmen.
Fragen Sie sich:
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Was hat mir früher gutgetan?
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Welche Musik hat mir gefallen?
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In welchen Momenten habe ich mich glücklich gefühlt?
Hören Sie diese Lieder. Schauen Sie alte Fotos an. Lesen Sie ein vertrautes Buch.
Das aktiviert positive Erinnerungsnetzwerke – und genau die brauchen wir jetzt.
2. Kleine Bewegungen, kleine Erfolge
Depression lähmt. Aber selbst kleine Schritte wirken.
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Ein Spaziergang um den Block
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Ein bewusstes Ein- und Ausatmen am Fenster
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Etwas Warmes trinken – und es bewusst spüren
Wichtig: Nicht groß, nicht perfekt. Dafür echt.
3. Sich berühren lassen – ohne sich überfordern zu müssen
Kontakt tut gut, auch wenn er erstmal still ist.
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Schreiben Sie einer Person, der Sie vertrauen.
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Hören Sie einem Podcast zu, der Sie berührt.
- Suchen Sie nach einem Therapieplatz.
4. Geduld ist kein Rückschritt – sie ist Regeneration
Ihr Gehirn hat sich über Jahre so entwickelt.
Es darf Zeit brauchen, neue Wege zu finden.
Vertrauen Sie darauf, dass Veränderung möglich ist – auch für Sie!
Depression ist nicht das Ende von etwas.
Sie ist ein Hinweis darauf, dass Sie lange gegen sich selbst leben mussten.
Und sie ist der Anfang – einer Einladung, neue Wege zu sich selbst zu finden.
Ihr Gehirn kann lernen, wieder Freude zu erleben.
Wieder Ziele zu sehen.
Wieder Mut zu spüren.
Nicht auf einmal. Aber in kleinen, echten Momenten.
Bleiben Sie bei sich. Der Weg beginnt mit dem ersten kleinen Feuer im Kopf – und im Herzen.
Schön, dass Sie hier sind.
Herzlichst,
Ihre Stefanie Trilling
Praxis für ganzheitliche Psychotherapie – Düsseldorf